Von Vivaldi zum Swing
Alle 37 Konzerte von Vivaldi nahm Daniel Smith als Fagottist
auf und tourte als Solist durch Europa und die USA. Dann entdeckte
er den Jazz, brachte das Fagott zum Schwingen - und die Jazzszene
zum Staunen.
Daniel Smith's Musikerkarriere
begann mit einer falschen
Trompete. Er war damals 16
Jahre alt und hatte „absolut keine
Ahnung von der Welt der Musik“. Eines
Tages sah er im Fernsehen ein Konzert
mit Benny Goodman, das ihn magisch
anzog. Bald darauf ging er zu einer
Musikschule: „Ich sagte dem Musik -
schul leiter, dass ich Trompete lernen
wollte - wie Benny Goodman“, erinnert
sich Daniel Smith. „Als er mich bat,
Goodmans ,Trompete‘ zu beschreiben,
sagte ich, sie sei lang und schwarz. Nun
war die Sache klar, und Smith bekam
Klarinettenunterricht. Zusätzlich nahm
er Saxophonstunden beim Lehrer von
Stan Getz und ging anschließend zum
Klarinettenstudium ans Konser va to ri -
um . Dort wechselte er jedoch bald zur
Piccoloflöte und spielte diese auch während
seines Wehrdienstes in der Mili -
tärband.
Parallel dazu nahm er Fagottun ter -
richt, da eher eine Chance bestand, in
einer Studio- oder Broad way-Show -
band unterzukommen, wenn man mehrere
verwandte Blas instrumente beherrschte.
Schnell wurde das Fagott zu
„seinem“ Instrument, schließlich, so
Smith, habe es von allen Blas instru men -
ten „das meiste Potential, so schön zu
klingen wie ein Cello“. Nach dem Militär dienst wirkte er als Fagottist beim New
York Philharmonic und im Orchester der
Met mit und nahm alle 37 Fagott -
konzerte von Vivaldi mit dem English
Chamber Orchestra und den Zagreber
Solisten auf. Doch wie kommt man von
Vivaldi zum Jazz? Das Schlüs selerlebnis
hierfür war die Beschäf ti gung mit der
„Jazz-Suite für Fagott und Orches ter“ des
englischen Komponis ten Steve Gray
(1944-2004). „Da ich nicht in der Lage
war, zu improvisieren“, erklärt Smith,
„musste ich die Soli, die im Kon zert gefordert
wurden, vorher ausnotieren.“
Mit dieser Lösung war er allerdings
nicht glücklich. Smith wollte richtig improvisieren,
„echten“ Jazz auf dem
Fagott spielen. Doch dies gestaltete sich
alles andere als einfach: „Ich war ein
Virtuose in der klassischen Musik, aber
das half mir für die Improvisation gar
nichts“, stellte er fest. „Ich musste jede
Jazzskala in jeder Tonart über den gesamten
Tonumfang des Instruments lernen,
wozu ich etwa vier Jahre brauchte.“
Dabei bekam er starke Schmerzen im
Arm, weil für die Jazzskalen seine
Muskeln auf ungewohnte Weise beansprucht
wurden. Nachdem diese von einem
auf den anderen Tag verschwunden
waren, begann er in England aufzutreten.
Zuerst spielte er auf Privatpartys,
später in Jazzclubs und auf Festivals.
Schließlich ging er zurück in die USA,
um dort mit den etablierten Größen des
Jazz zu musizieren.
Seine vier Jazzalben widmete Smith
jeweils einem bestimmten Stil: „Swin gin’
Bassoon“, „Bebop Bassoon“, „Blue
Bassoon“ (ein Bluesalbum) und - sein
neuester Streich - „Bassoon Goes Latin
Jazz“. Der Fagottklang bringt eine ganz
neue Farbe in den Jazz. In der Tiefe ähnelt
es dem Baritonsaxophon, jedoch mit
Tendenz zum Nasalen. Es ist erstaunlich,
wie Smith etwa in Lee Morgans Kom po -
si tion „Mr. Kenyatta“ dem schwerfälligen
Instrument schnelle Passagen abtrotzt
und bei Charlie Parkers Stück „Yardbird
Suite“ flüssig swingende Soli hinlegt, da
kann man über einige Intonations schwä -
chen getrost hinweghören. Dass ein
Fagott auch balladentauglich ist, beweist
seine Version von Horace Silvers Kom -
position „Peace“. Für 2012 ist ein Big-
Band-Album geplant, außerdem wird
Smith das ihm gewidmete Jazzkonzert
für Fagott und Kammer orches ter des
brasilianischen Kom po nisten João
MacDowell uraufführen. Wir sind gespannt.
— Mario-Felix Vogt |