ARTICLES (Fagottist mit Jazz-Faible)
Published in ‘SONIC’ April/May 2007

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Daniel Smith - "Fagottist mit Jazz-Faible"

Wollte er einfach nur widerlegen, dass ein Fagott nur in der Klassik zu Hause sei? Daniel Smith wird dies abstreiten. Aber was soll ein Fagottist mit einer Vorliebe für den Jazz sonst machen: Für sein Jazzquartett "Bassoon and Beyond" holte sich Daniel Smith jedenfalls Mitglieder der "Roy Haynes Band" und von "Spyro Gyra" und konfrontiert sein Publikum in oft zweigeteilten Konzerten zunächst mit Klassik, um es anschließend mit seinem Fagott in jazzige Gefilde zu entführen.


Carina Prange sprach mit Daniel Smith


Carina: Du bist der "meist aufgenommene" Fagottist der Welt - wobei sich dies nicht nur auf den Sektor Jazz bezieht, sondern allgemein zu verstehen ist. Lässt dich deine Fähigkeit, Jazz zu spielen so sehr aus der Masse der anderen Fagottisten, die sich nur in der Klassik ausdrücken, herausragen?

Daniel Smith: Ziemlich gute Frage… Deshalb möchte ich zunächst klarstellen, dass es überall auf der Welt herausragende Fagottisten gibt, wobei die meisten von ihnen in Orchestern arbeiten. Die besten unter ihnen treten auch als Solisten vor das Orchester, wenn sich die Gelegenheit ergibt, oder sind Mitglieder von Kammermusikensembles. Was den Jazz angeht, da kann man die Spieler an einer Hand abzählen, die es zu den höheren Weihen der Improvisation auf dem Fagott gebracht haben. Ich habe mit einer ganzen Reihe von Orchestern gearbeitet, tue dies aber seit einigen Jahren schon nicht mehr. Es erfordert besondere Fähigkeiten, die einen in die Lage versetzen, in der Gruppe zu funktionieren und ich habe Hochachtung vor allen Musikern, die in diesem Bereich gut sind.

Wenn man sich voll und ganz einer Karriere als Solist auf seinem Instrument verschreibt, läuft man Gefahr, als Orchestermusiker nicht mehr tragbar zu sein. Das hat im Wesentlichen damit zu tun, dass man ja einen erkennbaren "Stil" entwickelt, um als Solist mit einem ungewöhnlichen und andersartigem Repertoire glänzen zu können. Bei mir gehört da beispielsweise Ragtime dazu, aber auch Operntranskriptionen, Gesangsstücke oder Jazzstandards. Hat man diesen Weg jedoch erst einmal eingeschlagen, passt die Spielweise nicht mehr zum einheitlichen Stil und Tonfall der Orchestersektion.

Nimmt man noch den Jazz dazu, verstärkt sich das, weil man beginnt, Noten zu verschleifen, Akzente und Glissandi einsetzt und so weiter. Meine Laufbahn hat sich schrittweise vollzogen und überspannt jetzt Klassik, Crossover und Jazz. Damit stehe ich ziemlich einzigartig da, außer mir macht das niemand. Ich kann nur versuchen, mein Bestes zu geben - was ja jeder andere auch tut -, nie stehen zu bleiben, mich stets zu verbessern. Vor allem, was die Jazzimprovisation angeht. Und, bei aller Bescheidenheit, hier liegt der Hauptunterschied, der mich von den "klassischen" Fagottisten abhebt.

Carina: Wenn du so "querbeet" Barockmusik, Jazz, Klassik, Ragtime spielst, stellt das für dich dennoch eine Einheit dar - in Bezug auf die Attitüde, mit der du dich der Musik näherst?

Daniel Smith : Die ist in der Tat weitestgehend die gleiche. Für mich bietet jede Art von Musik die Möglichkeit, ihr meinen individuellen Stempel aufzudrücken. Unterschiede sehe ich da nur in einer Beziehung, was Wynton Marsalis mal in einem Interview wie folgt beschrieben hat: In der Klassik, sagte er, sei man ein "re-creator", ein Wiedererschaffer der Musik, wohingegen man im Jazz als Musiker selbst der Schöpfer sei, der "creator". Ich betrachte die Musik nicht aus verschiedenen Warten, gehe mit Marsalis' Aussage aber zum Teil mit. Zum Beispiel habe ich Edward Elgars "Romance" unzählige Male gespielt und aufgenommen. Irgendwann einmal ist ein klassisches Stück aber "erschöpft", man hat alles ausgelotet, was man als Musiker in den Ausdruck hineinlegen kann.

Beim Jazz ist das etwas ganz Anderes. Da hat man ja wirklich und wahrhaftig im Vorfeld keine Vorstellung davon, was man so spielen wird, bevor man das Mundstück ansetzt und beginnt, über ein Stück zu improvisieren. Alles und jedes hat Einfluss darauf, was dabei rauskommt - dein körperlicher und seelischer Zustand, die Akkordumkehrungen, die der Pianist wählt, der Ton des Kontrabasses oder die Laune des Schlagzeugers. Aber wenn die Musik "happens", wenn alles zusammenpasst, dann merkt man das sofort.

Carina: Im Januar 2007 erschien das Album "The Swingin' Bassoon". Erzähl mal, worum es da geht…

Daniel Smith: Das "Swingin' Bassoon"-Album ist für mich etwas Besonderes. Nachdem ich mich in Blues und Bebop umgetan habe - letztes Jahr ist ja "The Bebop Basson" erschienen - widme ich mich verschiedenen Aspekten der Bigband-Ära. Da geht es um Namen wie Tommy Dorsey, Count Basie oder Duke Ellington, es geht um Standards wie von Jonny Mercer, Edward Heyman oder Johnny Green … aber ich lasse auch den Latin-Aspekt nicht außen vor, also Marco und Sergio Valle oder Hank Mobley und es wird ein bisschen "straight ahead" zugehen, wie bei Monk, Dizzy Gillespie oder Charlie Parker. Also ganz spannend.

Carina: Mit anderen Worten entwickelt sich aus deinen "Jazztime"-Alben etwas wie eine Serie. Hast du schon weitere Stilrichtungen im Visier?

Daniel Smith: Ich habe ein paar Sachen im Kopf, ja. Da wäre die Idee, eines Bigband-Tributes "The Big Band Bassoon" oder ein Benny-Goodman Tribute, etwa "Benny on Bassoon" oder "Blues Bassoon" mit Bluesstücken. (lacht) Ich komme immer auf Titel mit vielen "B"s. Aber auch ein Latin-Album fände ich nicht abwegig. Was das Beschreiten von Neuland angeht, habe ich keine Berührungsängste.

Carina: Du hast die kompletten Fagott-Konzerte von Vivaldi aufgenommen, 37 an der Zahl. Warum alle von ihnen und nicht nur die Highlights? Das hat ja sicher viel Zeit und Energie gekostet - was war deine Motivation es zu tun?

Daniel Smith: Oh, das mit Vivaldi war eigentlich ein Zufall! Ich hatte für das Londoner Label ASV gerade ein Album fertiggestellt - Werke verschiedener Komponisten, eingespielt mit dem "English Chamber Orchestra". Dabei war auch ein Stück von Antonio Vivaldi. Im Abschlussgespräch mit dem Labelchef erwähnte ich beiläufig, dass Vivaldi ja 37 Fagott-Konzerte komponiert hätte, was an Zahl nur von seinen hundert Violinkonzerten übertroffen würde. Und dass noch niemand alle 37 aufgenommen hätte. "Na, dann machen Sie das doch!", entgegnete er. Ich fiel fast vom Stuhl und fragte, ob das sein Ernst sei. Er meinte, ja, klar. Und so begann etwas, was sich am Ende als ein sechs Jahre andauerndes Projekt herausstellen sollte…

Es war eine gewaltige Kraftanstrengung und ständig gab es das ein oder andere Problemchen zu lösen. Mit dem "English Chamber Orchestra" nahmen wir nur die ersten drei Platten auf, mitten drin wechselten wir zu den "Zagreb Soloists", die auf den verbleibenden drei Alben zu hören sind. Ein wundervolles Kammerensemble! Ich hatte das Glück, mit ihnen durch England und Irland touren zu können, sodass wir einige Konzerte tatsächlich vor Publikum aufführen konnten, bevor es an die Aufnahmen ging. Eine CD wurde in London aufgenommen, die anderen beiden im "Lisinski Palast" in Zagreb - schlichtweg einer der größten Konzertsäle, den ich je gesehen habe.

Die Aufnahmen des letzten Albums waren überschattet durch den Beginn des Jugoslawienkriegs. Die Bombardierung von Zagreb hatte begonnen, wir konnten nicht einfach von London dorthin fliegen, sondern mussten tagelang auf eine Feuerpause warten. Dann stellte sich raus, dass wir nur zwei Tage Zeit haben würden, um sieben Konzertwerke aufzunehmen! Bis dahin lag unser Rekord bei sechs Konzertwerken - aber in drei Tagen. Noch am Vorabend konnte ich mir nicht vorstellen, wie das zu bewerkstelligen wäre…

Wir fingen morgens um zehn an und hörten erst mitten in der Nacht auf. Ich schluckte Wachmacher und trank literweise Kaffee. Wie durch ein Wunder schafften wir es, das durchzuziehen - der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt. (lacht) Inzwischen hat sich die Reihe zum Bestseller der "Musical Heritage Society" gemausert und die Aufnahmen laufen weltweit auf den Klassikstationen. Vivaldi, wie ich damals merkte - und der Meinung bin ich noch immer - besitzt in seinen dynamischen Passagen eine fast jazzartige Energie und dann wieder, in den langsamen Bewegungen, Melodien von geradezu atemberaubender Lyrik. Seine Musik ist jedoch extrem schwer zu spielen und erfordert höchstes Virtuosentum. Es war eine große Ehre für mich, dieses Projekt durchführen zu dürfen.

Carina: In deinem Elternhaus spielte Musik kaum eine Rolle, wenn man nicht gleich den Begriff "unmusikalisch" verwenden möchte… Hattest du Probleme, deinen Berufswunsch zu vermitteln, oder hat es dich sogar in deiner Entscheidung gefestigt, das allein mit dir selbst abmachen zu müssen?

Daniel Smith: (lacht) Aus einer "unmusikalischen" Familie zu stammen, wünsche ich im Ernst niemand! Mit den Jahren habe ich so viele Musiker kennengelernt, in deren Elternhaus Musik geschätzt wurde und Teil des Lebens war. Mein Vater hingegen hat mich geradezu verleugnet, als er herausfand, dass ich Musiker werden wollte. Es hat Jahre gekostet, darüber hinweg zu kommen. Und warum ich zur Musik kam? Da gibt es den alten Spruch, dass man sich dieses Metier nicht aussucht - es sucht sich dich aus! Eine bessere Erklärung habe ich auch nicht.

Carina: Du hast mit der Klarinette als erstem Instrument angefangen, dann kamen hintereinander Saxophon, Flöte und schließlich Fagott und Kontrafagott. Hatte die Reihenfolge mit der Schwierigkeit der Instrumente zu tun, und hätte man das anders machen können?

Daniel Smith: Nein, da war keine Planung dahinter - das passierte einfach so. Ich war auf allen erwähnten Instrumenten recht gut, habe zwischendrin auch Piccolo, etwas Oboe und sogar Geige gespielt. Auf dem Kontrafagott war ich seinerzeit einer der zwei Instrumentalisten, die Gunther Schullers Kontrafagott-Konzert zu spielen und uraufzuführen in der Lage waren. Zweimal, zu verschiedenen Zeiten, hatte ich die Gelegenheit, mit den New York Philharmonics zu konzertieren - einmal am Piccolo und das andere Mal am Kontrafagott. Also mit jeweils dem höchsten und dem tiefsten Instrument aus der Holzblasinstrumentengattung!

Ich erzähle mal, wie das kam: … kurz nachdem ich meinen Abschluss an der Universität von Columbia gemacht hatte, ging ich zum Militär und wurde erster Piccolo-Spieler in der Band von Westpoint. Während der Zeit traten wir für Aufführungen von Berlioz' "Symphonie funèbre" ein paarmal mit den New York Philharmonics auf. Viele Jahre später vertrat ich während einer Orchestersaison ihren erkrankten Kontrafagottisten. Quasi die Höhen und Tiefen des Bläserdaseins! (lacht)

Carina: Was ist das Faszinierende am Fagott?

Daniel Smith: Das Instrument gleicht in seinem Spektrum dem Cello oder der menschlichen Stimme - die gleiche Kraft, Emotionalität und Schönheit. Nachdem ich Flöte, Klarinette und die Saxophone früh gemeistert hatte, begann ich mich an das Fagott heranzutasten und sein Potential auszuschöpfen, das von Klassik bis zu Jazz, Blues und anderen Stilistiken reicht. Ich versuche immer, dem Geist der Musik, die ich spiele, gerecht zu werden, ihn einzufangen. Dabei habe ich zwangsläufig eine ganz eigene Spieltechnik entwickelt. Es gibt einige "klassische" Fagottisten die das gar nicht abkönnen - ich nehme an, sie verstehen es einfach nicht. Aber das ist das Risiko, das man eingeht, wenn man sich auf frisches Terrain wagt. Trotzdem, bei den ganzen positiven Stimmen und Kritiken zu Konzerten und Aufnahmen, kann ich ja so falsch nicht liegen.

Carina Prange


 

 

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